
- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
Prinz Pi
29.39 €
Die Schule bleibt für viele von uns die größte Hölle, die das Leben parat hält. Der
einzige Trost ist die gute alte Dreigruppenregel: Jene, die auf dem Schulhof den Ton
angeben, haben am letzten Schultag den besten Teil ihres Lebens oft schon hinter
sich. Das ist die erste Gruppe. Dann gibt es die Leute, die nichts in Frage stellen,
alles brav mitmachen und von Anfang an das Spiel spielen, das die Gesellschaft
vorgibt: sie werden normal, erfolgreich, also langweilig. Und schließlich sind da die
Eckensteher und Sonderlinge. Leute, die sich erst zurechtfinden müssen in diesem
absurden happy-sad-Ding namens Le- ben. Die Fragen haben und Antworten
verlangen und deshalb von Anfang an ein bisschen mehr über alles nachdenken
als andere, nur eben nicht so viel über Mathe und Physik. Manchmal denken sie
auch zu viel nach, aber diesen Leuten der dritten und natürlich interessantesten
Gruppe verdanken wir ei- nige der größten Werke aus Kunst, Musik und Literatur.
Jene zuvor Ausgestoßenen und Missverstande- nen fangen nach der Schule
überhaupt erst richtig an zu leben sofern sie es irgendwie schaffen, mit dem
ganzen Scheiß, der uns umgibt, irgendwie umzugehen, ein Ventil zu finden.
Yours truly Friedrich Kautz aka Prinz Pi gehört natürlich zur letzten Gruppe, eh klar.
»Zehn Jahre nach dem Abitur bin ich wieder der unbeliebte Junge mit der
Kackfrisur«, rappt er unter anderem in »Rebell ohne Grund (Kompass Reprise)«,
jenem Track, mit dem sein neues Album »Im Westen Nix Neues« nach dem kurzen
monologischen Intro »Vorzimmer BB« beginnt. Pi-Experten erkennen hier natürlich
direkt einen Link zum letzten Album „Kompass Ohne Norden“. Das Werk des Prinz
Pi ist eine fortschreitende Geschichte mit etlichen Seitensträngen,
Nebenhandlungen und roten Fäden. Ein Kontinuum, in dem ein Element das andere
ergänzt, aber gleichzeitig jedes neue Album unverrückbar für sich selbst und die
Zeit, in dem es entstand, steht. Und diesmal gab es eine Menge zu erzählen!
Eines muss man allerdings nicht mehr allzu ausführlich erzählen. Die Geschichte ist
bekannt oder sollte dies zumindest sein. Prinz Pi war bei Royal Bunker und hat
Kommunikationsdesign studiert. Er ging in Steglitz aufs Gymnasium und unter dem
Nick Prinz Porno sprayen. Er rappte mit Frauenarzt, Frank Zan- der und Adel Tawil
und engagierte sich in Tansania gegen Aids und in Berlin für Obdachlose. Er
gründete eine Familie und erreichte, losgelöst von Plattenfirmenzwängen, mit
eigenem Team und auf eigene Rechnung, mit den letzten beiden Alben die Spitze
der deutschen Charts. Es ist also alles andere als leicht: Dieser Mann lässt sich nicht
in jenes klischierte Korsett zwängen, das der denkfaule Teil der soge- nannten
Medien für HipHop-Künstler mit Vorliebe parat hält.
Viel interessanter: Was war da jetzt vor »Im Westen Nix Neues« eigentlich los? Mit
Anfang, Mitte 30 blicken die meisten von uns zum ersten Mal zurück. Was ist aus
unseren Träumen geworden, was aus jenen, die wir früher kannten? Und vor allem:
Sind wir zu denen geworden, die wir werden wollten? Fragen wie diese verhandelt
Pi unter anderem in »Werte«: »Die alten Hardcore-Überzeugungen werden soft /
Logo auf dem Lieblings-Shirt ist ausgeblichen, der Frage, wer wir sind
ausgewichen«, rappt er da unter anderem.
Das Besondere der Titel »Im Westen Nix Neues« verrät es bereits ist jedoch,
dass es Pi mit beein- druckender Leichtigkeit gelingt, derartig individuellen
Graswurzel- und Befindlichkeitsüberlegungen ein universelles Moment angedeihen
zu lassen. »Als ich angefangen habe, für das Album zu schreiben, ging es darum,
eine Gesellschaftsbetrachtung anzustrengen,«, sagt er. »Ich wollte unseren
modernen Life- style hinterfragen, die westliche Lebenswelt. Allerdings immer von
mir selbst ausgehend.« »Global denken, lokal handeln« ist eigentlich ein Slogan aus
der Mottenkiste der Ökobewegung, aber vielleicht ist es an der Zeit, ihn wieder
hervorzukramen. Denn natürlich lässt sich das eine nicht vom an- deren trennen, ist
alles Handeln und Denken stets politisch.
»Im Westen Nix Neues« ist selbst für Prinz-Pi-Dimensionen ein reifes,
hochsubstanzielles Album gewor- den, das in vorbildlicher Weise verdeutlicht, welch
ein grenzüberschreitendes, freiheitliches Kommunika- tionsmedium HipHop
inzwischen sein kann wenn man den Mut und die Fähigkeiten besitzt, die Möglichkeiten
dieser Musik maximal auszuschöpfen.
Allerdings zeigt das Werk auch, dass es nicht um schwarz oder weiß gehen sollte,
nicht darum, das eine gegen das andere auszuspielen. Das Rap-Game ist 2015 so
heterogen wie noch nie, ein unendlicher Kosmos, in dem der literarische Rap von
Prinz Pi ebenso Platz hat wie der Strassen-Rap von Haftbefehl.
Generell ist Prinz Pi ein Getriebener. Sein Kopf ist praktisch immer in Bewegung,
wenn er eine Idee hat, und ja: er hat sehr viele Ideen, wird sie festgehalten: Im
Notizbuch, auf dem iPhone oder in seinem Auto, das für derartige Zwecke extra
mit einem Diktiergerät ausgestattet ist. Pi kann also während der Fahrt Eingebungen
skizzieren und bekommt diese dann automatisch per E-Mail zugestellt.
Trotzdem verwendet er den daraus entstehenden Ideen-Wust nur äußerst selten. All
die tausend Notizen sind nur die Vorbereitung für eine Albumproduktion. So richtig
los geht es erst, wenn Stammpartner und Produzent Biztram ein paar Skizzen
vorbereitet hat. Das Studio ist für Pi eine abgeschlossene Kapsel, die auf ihn eine
besondere Magie ausübt. Sobald er die Musik hört, kann er alles ausblenden, ihm
kommen Gedanken, die er zu Hause, unterwegs oder ins sonstigen Situationen nie
hätte, die Worte fließen nur so aus ihm heraus. »Ich mache so lange Musik«, sagt er,
»Inzwischen will ich wirklich nur noch die Quintessenz meiner Arbeit veröffentlichen,
der Rest soll ungehört bleiben.«
Um „Im Westen Nix Neues“ zu schreiben ist Pi Ende September für zwei Wochen
nach Schweden gefahren, wo er sich in einer einsamen Blockhütte eingeschlossen
hat. Dort hat er sogar mehr Songs ge- schrieben, als es letztendlich aufs Album
geschafft haben. »Man weint um jeden Song, der nicht drauf kommt, wie um ein
verlorenes Kind,« sagt er. »Aber irgendwann fügt sich die optimale Mischung dann
zusammen, es kommt der Tag, an dem man einfach spürt: es ist fertig!«
Prinz Pi hörte während der Arbeit an »Im Westen nichts Neues« Roky Erickson und
Father John Misty, vor allem aber ganz viel auf seinen Kopf. Denn in dem war eine
Menge los: Er hatte Depressionen und war glücklich, private Probleme und Triumphe
wechselten sich ab, es ging hoch und wieder runter und dann immer diese Grübelei!
Erste kleine Midlife-Crisis, zerbrochene Beziehungen, neue Menschen, alte
Menschen, seine Kinder: Es sind Geschichten aus dem Leben, nicht aus dem
HipHop-Klischee-Baukasten.
Prinz Pi hat das große Talent, Probleme, die viele Leute kennen, in Zeilen kleiden zu
können, die anderen wiederum bei der Bewältigung dieser Probleme helfen. Das
gelingt, weil er mutig und stark genug ist, sein Herz auf den Tisch zu legen und es
nicht hinter Machoposen zu verbergen. »Die vielen Strophen sparen mir den
Psychologen«, heißt es in »Lösung / Gepäck«. Nicht nur ihm, will man hinzufügen.
»Eine Albumproduktion bedeutet jedes Mal, mich metaphorisch gesprochen selbst
aufzuschneiden, den ganzen Ballast rauszuoperieren, und dann wieder zuzunähen
danach kommt die Heilung, zumindest für einen Moment.«
»Im Westen Nix Neues« ist ein musikalisches Tagebuch. So war es oft bei Prinz Pi,
aber noch nie ist er so tief und weit gegangen wie jetzt.
Veranstalter: FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH
Präsentiert von: Szene Hamburg; Delta Radio